Region für Aufklärung und Toleranz
In unserer Region, die als „Modellregion“ der deutsch-jüdischen Kultur und Geschichte seit der Zeit der Aufklärung betrachten werden kann, gibt es zahlreiche authentische Orte, faszinierende Themen und bemerkenswerte Persönlichkeiten der deutsch-jüdischen Kultur und Geschichte. Zum Teil warten sie noch darauf, entdeckt und einer breiten Öffentlichkeit angemessen präsentiert zu werden.
Jüdische Kultur und Geschichte in der Region
Schon im Mittelalter gab es in den Städten zwischen Harz und Heide bedeutende jüdische Gemeinden. Sie gingen aber in den Pogromen des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit unter. Seit dem 18. Jahrhundert erlangte die Region erneut große Bedeutung für die Geschichte der deutsch-jüdischen Kultur. Faszinierende Orte, Ensembles und Objekte zeugen bis heute davon. Der Braunschweiger Kammeragent Alexander David (1687–1765) zählte zu den bedeutenden jüdischen Hoffaktoren der deutschen Nation und gilt als Gründer der jüdischen Gemeinde Braunschweig. Seine Judaika-Sammlung machte er als eine der ersten der Öffentlichkeit zugänglich. Damit begründete er die Tradition des Ausstellens jüdischer Objekte, die heute das Braunschweigische Landesmuseum fortführt. Dessen Ausstellungszentrum Hinter Aegidien beherbergt neben Teilen der Sammlung von David als Hauptexponat die Inneneinrichtung der Synagoge in Hornburg.
Von Lessing und Mendelssohn
In Wolfenbüttel, der ehemaligen Residenzstadt des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, trafen sich der aufklärerische Schriftsteller und Bibliothekar an der Herzog August Bibliothek, Gotthold Ephraim Lessing, und sein Freund, der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn, in Lessings Wohnhaus, dem heutigen Lessing-Haus. Lessing setzte dem Begründer der jüdischen Aufklärung in seinem Drama „Nathan der Weise“ mit der Figur des Nathan ein Denkmal. Lessing schuf dieses Werk, ein Schlüsseldokument aufgeklärter Toleranz, in seinem Arbeitszimmer, das heute besichtigt werden kann.
Jüdische Bildung, jüdisches Engagement
Mit der 1786/1796 in Wolfenbüttel gegründeten Samsonschule bestand in der Region bis ins 20. Jahrhundert eine weitere in der jüdischen Welt weithin bekannte Bildungseinrichtung. Dort unterrichteten u. a. Leopold Zunz, einer der Begründer der Wissenschaft des Judentums, und Samuel Spier, einer der Gründerväter der SPD. Das eindrucksvolle Schulgebäude in Wolfenbüttel ist bis heute erhalten.
Juden und Jüdinnen strebten im 19. Jahrhundert oft sehr erfolgreich danach, als Teil des Bürgertums anerkannt zu werden. Industrielle wie der Braunschweiger Max Jüdel (1845–1910), Gründer der Eisenbahn-Signal-Bauanstalt (heute Siemens), leisteten Herausragendes für die wirtschaftliche Entwicklung der Region. Sie waren aber, ganz gemäß der jüdischen Tradition, auch als Stifterinnen und Stifter sowie Wohltäterinnen und Wohltäter aktiv – nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Der bis heute stattfindende Gifhorner Apfelsinenball geht auf eine Spende des jüdischen Ehrenbürgers der Stadt Alexander Menke zurück.
Auf die Stiftung eines jüdischen Unternehmers gehen auch zwei weitere überregional bedeutsame Orte jüdischer Kulturgeschichte in der Region zurück: Die landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten der Simon’schen Stiftung in Steinhorst (Landkreis Gifhorn) und Peine, gegründet 1909 bzw. 1912. Dort wurden Juden und Jüdinnen in der Landwirtschaft bzw. im Gartenbau ausgebildet, um sie besser in die Gesellschaft zu integrieren. Architekt der beiden als Gebäude erhaltenen Einrichtungen war Heinrich Tessenow, einer der Wegbereiter der modernen Architektur.
Authentische Orte des Jüdischen in der Region
In der Region bestanden zahlreiche jüdische Gotteshäuser – von den frühen „Hinterhof-Synagogen“ bis zu prachtvollen Synagogen aus der Phase der bürgerlichen Integration, in der es in Bad Harzburg sogar eine „Hotel-Synagoge“ für jüdische Kurgäste gab. Jüdische Schulen, Gemeindehäuser und weitere Einrichtungen des sozialen Lebens wurden in vielen Orten betrieben, oft mit einer weit über die Region hinausreichenden Ausstrahlung. An zahlreichen Orten der Region – in Braunschweig, Goslar, Helmstedt, Hornburg, Peine, Salzgitter-Bad, Seesen und Wolfenbüttel – zeugen jüdische Friedhöfe von der deutsch-jüdischen Geschichte. Ihre Grabmale sind kunst- und kulturhistorische Objekte von größter Bedeutung. Auch zahlreiche Orte der Verfolgung und Ermordung im Zeichen des Nationalsozialismus sind in der Region zu finden. Auf vielfältige Weise wird an ihnen die Erinnerung an die Verbrechen, an Opfer und Täter wachgehalten – von Denkmalen an Standorten zerstörter Synagogen und Stolpersteinen oder Informationstafeln über jüdische Bürgerinnen und Bürger bis zur Bildungsarbeit in den museal eingerichteten KZ-Gedenkstätten in Braunschweig und Salzgitter-Drütte reicht das Spektrum der Gedenkkultur in der Region.